seilbahn.net | Themenbereiche | Seilbahnen | 2022-03-01

Enrope ertüchtigt Obersalzbergbahn

Das Seilbahnunikat auf den Obersalzberg hatte Probleme mit der verkürzten Standzeit des Förderseils und mit dem Spezialgetriebe. Der deutsche Seilbahnhersteller Enrope ertüchtigte den Antrieb - mit viel historischer Recherche und individuellem Engineering.

VON THOMAS SURRER / SI SEILBAHNEN INTERNATIONAL

Die Obersalzbergbahn nahe Berchtesgaden ist eine außergewöhnliche Seilbahn. 1949 aus Eisenbahnmaterialien erbaut, wartet sie mit einer ganz speziellen Seilbahntechnik auf, darunter ein Getriebe mit zwei Antriebsscheiben.

„Das 1996 neu installierte Getriebe litt unter starken Belastungen. Die Differenz zwischen den Seilscheiben war zu groß, wir hatten keinen Freilauf“, schildert Betreiber Andreas Bruckmann die Ausgangslage. Die Folgen waren regelmäßig kaputte Lager und Zahnräder, ein Seil mit verringerter Lebensdauer sowie Stillstände der Anlage.

Auf der Suche nach einer Lösung fiel in Gesprächen mit Getriebefirmen und Branchenvertretern immer öfter der Name Enrope. Der deutsche Seilbahnhersteller hat sich auf kleine Seilbahnen spezialisiert, die individuelles Engineering benötigen.

„Gleich beim ersten Treffen merkte ich sofort: Das sind meine kompetenten Partner für die Ertüchtigung unserer Obersalzbergbahn“, sagt Bruckmann. Und sogleich durfte Enrope loslegen.

Erste Schritte

„Im Winter 2020 konnten wir das Thema mit Sachverständigen des TÜV Süd und der Rotec GmbH vorbesprechen. Darauf basierend wurden wir von Andreas Bruckmann mit der  Vorstudie über die Ertüchtigung des Antriebes der 2-Seil-Kabinenbahn beauftragt“, berichtet Enrope-Geschäftsführer Peter Glasl.

Als nächsten Schritt analysierten die Seilbahnexperten die umfassenden Bauunterlagen aus den 60er Jahren, die Dokumentation über den Umbau 1995-97 und die letzten RP Prüfbescheinigungen der Rotec GmbH.

Anton Glasl hat Antrieb und Bremsen aufgemessen und gleichzeitig den Vermessungsingenieur Singer mit einem 3D Scan des kompletten Maschinenraumes beauftragt. Somit ist gewährleitstet, dass zukünftige Planungen am CAD passgenau eingefügt werden können.

„Per E-Mail, Telefon und  vor Ort haben wir uns mehrmals mit Betriebsleiter Bruckmann, Wolfgang Neumayr von der Regierung Oberbayern und Sven Winter von der Rotec GmbH abgestimmt“, sagt Glasl.

Zahlreiche Wege diskutiert

Gemeinsam wurden diverse Möglichkeiten debattiert. So standen etwa vergrößerte Antriebsscheiben von D = 865 mm z.B. auf D = 1110 mm zur Diskussion, um das Seil schonender abzulenken. Die Idee wurde aber wieder verworfen.

Um schädliche Schnürspannungen in der Antriebsstation auszuschließen, wurde die Möglichkeit des Antriebes über nur eine Seilscheibe (statt bisher zwei) rechnerisch überschlagen, diskutiert und verworfen.
Die Vergrößerung der Seilscheiben würde die Seillebensdauer erhöhen. Bei genauerer Untersuchung wurde aber klar: Der Reibwert an einer Seilscheibe würde zwar für die Übertragung des berechneten Motormomentes knapp ausreichen.

Die Übertragung des von der Betriebsbremse maximal erzeugten Bremsmomentes lässt sich aber weder mit der verbauten Becorit Kunststoff „D-670 SB“ noch mit einer alternativ möglichen Gummifütterung sicher nachweisen.

Die Lösung liegt in der Vergangenheit

„Die beste Variante fanden wir ausgerechnet im Stand der Technik von 1949“, schmunzelt Bruckmann. Es galt also die beiden Antriebscheiben auch in Zukunft zu nutzen und gleichzeitig die Verspannungen zwischen diesen zu eliminieren.

„Wir haben daraufhin fünf Getriebehersteller angefragt, ob ein Sondergetriebe mit Differentialausgleich möglich wäre – alle haben abgelehnt“, sagt Peter Glasl.

Schlussendlich hat Enrope nochmals den ursprünglichen Zustand der Bahn vor dem Umbau 1995-97 betrachtet. Der Antrieb war bis dahin mit zwei Elektromotoren und Betriebsbremsen ausgestattet, die mechanisch entkoppelt jeweils auf eine der Seilscheiben gewirkt haben.

Die Untersetzung (Getriebe) erfolgte über Keilriementrieb, Ritzel und Zahnrad.

Das später eingebaute zentrale Verteilergetriebe ohne der Möglichkeit Drehzahlunterschiede (durch Schlupf oder Durchmesserabweichungen) zwischen den Seilscheiben auszugleichen hat offensichtlich die momentanen Probleme verursacht.

Keine Veränderungen an sicherheitsrelevanten Bauteilen

Nach einer erneuten Abstimmung mit Regierung, Sachverständigem und Bauherren setzte Enrope nun die Lösung mit zwei Getrieben, zwei Motoren und zwei Betriebsbremsen um.
Der bewährte und sicherheitsrelevante Bestand wurde nicht verändert. Das betrifft das Förderseil, Gebäude, Verankerungen, Stahltragwerke, Seilscheiben, Sicherheitsbremse, Kardanwellen, Betriebsbremse, Sensoren, Steuerung und den Notantrieb.

Das vorhandene Verteilergetriebe ersetzte Enrope durch zwei Flachgetriebe eines renommierten Herstellers (inklusive seilbahnspezifische Berechnungen und Nachweise). Für den Anschluss der Kardanwellen wurden Spezial-Abtriebswellen mit Flansch gefertigt.

Enrope installierte zudem eine zweite baugleiche Betriebsbremse. Damit sich das Bremsverhalten nicht ungünstig verstärkt, wurden zwei Bremsscheiben mit ½ Wirkdurchmesser gefertigt (200 statt 400 mm) und an einer geeigneten Kupplung auf den Getriebeeintrieben montiert. Die Brems-Pneumatik wurde entsprechend erweitert.

Die alte Steuerung hat noch das Sagen

„Den 33 kW Siemens Nebenschlussmotor haben wir durch zwei weniger verschleißanfällige 22 kW Drehstrommotoren ersetzt“, so Peter Glasl weiter. Für die sommerlichen Temperaturen wurden die Motoren mit automatisch zugeschalteten Fremdlüftern ausgestattet.

Für die Montage des neuen Antriebstranges hat das Team eine Spezial-Konsole hergestellt, die sich auf die Originalfundamente verankert.

Die bestehenden Sensoren am Antriebsstrang montierte Enrope mit angepassten Aufnahmen erneut. Das Siemens Stromrichtergerät SIMOREG ersetzten die Experten durch einen Frequenzumrichter mit Bremswiderstand und verkabelten ihn neu.

„Die größte Herausforderung des Projektes war also, dass die alte Steuerung die neuen Komponenten kontrollieren kann“, sagt Betriebsleiter Andreas Bruckmann.
Der Frequenzumrichter erfüllt dabei folgende Rahmenbedingungen: Quasi identische Schnittstelle zur vorhandenen Seilbahnsteuerung. Geeignet für die Ansteuerung von 2 parallel laufenden Motoren. Geeignet für den Einbau in den vorhandenen Bauraum.

Gewählte Komponenten
  • Bremse: Rietschoten R&H 220; 1 Stück
  • Fremdlüfter: Wistro IL Bg 160-200; 2 Stück
  • Frequenzumrichter: Schneider Electric MX pro; 1 Stück
  • Getriebe: Wattdrive FH102U5; Einbaulage M5 1 Stück und M6 1 Stück
  • Kupplung: ROTEX 42 GG DKM; 2 Stück
  • Motoren: NCH 180 L-4 B3 IE3; 2 Stück
  • Widerstand: Siemens 6SE7028; 1 Stück
Fazit

Seit Dezember 2021 läuft die Obersalzbergbahn nun mit alten und neuen Komponenten in perfekter Symbiose, wie Andreas Bruckmann bestätigt:
„Es gibt keine Probleme mehr. Die Seilbahn fährt jetzt leichter, leiser und ruhiger – einfach super!“

Thomas Surrer
SI Seilbahnen International












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