seilbahn.net | Themenbereiche | Wirtschaft | 2023-05-22

Markus Redl: Quo vadis alpiner Tourismus – Zukunft mit und ohne Schnee

Im laufenden Transformationsprozess auch einmal Komplexität reduzieren, es „auf den Punkt bringen“ — um nämlich ins Gespräch zu kommen und die Zukunft von Skigebieten bzw. ganzjährig betriebenen Bergresorts gestalten zu können. Das hat Ihr Autor im Rahmen eines Kurzreferates bei den INTERALPIN INSPIRATION DAYS 2023 anhand eines von Robert Six gestalteten Wimmelbilds mit insgesamt neun Zukunftsbildern – jeweils drei ab 2020, 2030 und 2040 – versucht.

2020
1. Technische Beschneiung
Diese im wahrsten Sinne des Wortes flächendeckend erfolgreiche Anpassungsstrategie ist im Laufe der Jahrzehnte deutlich effizienter geworden. Zudem hilft modernes Schneemanagement in Form von immer ausgefeilteren Methoden (Schneehöhenmessung, Snowfarming etc.), um mit vielerorts knapper werdenden Ressourcen wie Wasser oder leistbarer Energie hauszuhalten. Letztendlich gibt es aber doch Grenzen, was an einem bestimmten (Mikro-)Standort technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Seehöhe mit gesichertem Schneedeckenaufbau (natürliche Schneefallgrenze) ist als Indikator dafür je nach den Luftmassen, die für den Niederschlag in den jeweiligen Regionen hauptverantwortlich sind, in Österreich sehr unterschiedlich. Großen Einfluss haben zudem lokale Strömungsverhältnisse oder – bei Starkregen – sogar die Geologie.

2. Inszenierung
Speziell im Sommer ist das touristische Bergerlebnis mithilfe der (Seilbahn-)Infrastruktur im tatsächlichen und übertragenen Sinn barrierefrei geworden. Nicht jeder Mensch kann zu Fuß auf den Berg gehen oder mit dem Rad fahren. Der Qualitätsverbund Beste Österreichische Sommer-Bergbahnen zeigt zuhauf positive Beispiele für Inszenierung, also ein vorstrukturiertes, für den Gast mit seinen speziellen Bedürfnissen möglichst anregendes, oft auch lehrreiches und hoffentlich immer sicheres Bergerlebnis. Auch im Winter können Attraktionen wie Funslopes für Spannung und Abwechslung sorgen und dazu beitragen, Besucherströme zu lenken. Im besten Fall kann ein und dieselbe Infrastruktur durch Varianten in der Inszenierung für verschiedene Zielgruppen aufbereitet werden. Denn strategisch gilt es für möglichst vielen Menschen bei möglichst wenig Flächenverbrauch oder sonstigen Eingriffen Nutzen zu stiften.

3. Ganzjährige Nutzung von Infra- und Suprastruktur
Der Tourismus in den Alpen ist historisch gesehen in der Schweiz, in Österreich oder auch in Oberbayern eng mit der Errichtung von Bahnlinien verbunden. Es ist kein Zufall, dass von St. Anton am Arlberg bis zum Semmering viele Tourismusorte bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts durch die Eisenbahn ideal erschlossen sind. Damals war der Sommer die alpine Hauptsaison, mit der berühmten Sommerfrische gab es speziell in Großstadtnähe auch schon Langzeitaufenthalte. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann dann der Urlaub mit dem eigenen PKW zu dominieren und während diverse Sommerdestinationen abseits der Alpen reüssieren konnten, wurde der Winter- bzw. Skitourismus zur Cashcow. Dieses Pendel schwingt zurück, es gibt kaum noch Orte bzw. Beherbergungsbetriebe, die nur auf die Wintersaison setzen – Betriebssperren werden kürzer.

2030
4. Strategische Konzentration des „Must-have“-Schneesportangebotes
Die mit Abstand wichtigste Frage – der sich alle alpinen Destinationen mit relevantem Skitourismus auf ihre Art stellen müssen – lautet, auf welche konkreten Pisten als Minimalangebot gesetzt wird. Was ist das jeweilige „Residuum“, das jedenfalls benötigt wird, um Gäste mit Schneesport zufriedenzustellen. Wo sollen die Weihnachtsferien abgesichert werden? Jede Reduktion der zu beschneienden Pistenfläche erhöht die Schlagkraft der Beschneiungsanlage, ermöglicht eher auch in kurzer Zeit für eine Grundbeschneiung zu sorgen. Diese strategische Entscheidung zur Konzentration auf das „Must-have“ soll ein konzertiertes Vorgehen in Destination oder Kleinregion ermöglichen, speziell in der Frage der Mobilität vor Ort. Wie kommen Gäste, die nicht (mehr) Ski-in/Ski-out nächtigen, zur Piste und wieder zurück? Welche Zubringerbahnen und allfällige Talabfahrten gibt es?

5. Besondere Flexibilität beim „Nice-to-have“-Schneesportangebot
Für heutige Verhältnisse mutet ein Hybridbetrieb, also gleichzeitiges Winter- und Sommerangebot, exotisch an. Aber diese Art Flexibilität, Infrastruktur wie z.B. eine Seilbahn mehrfach zu nutzen, könnte Schule machen. Derzeit ist das von den betrieblichen Abläufen her noch kaum vorstellbar, aber wenn dann beispielsweise in manchen Bereichen kein oder nicht genug Schnee liegt, dann bleiben ausgewählte Biketrails, Kinderspielplätze, Wanderwege, Klettersteige etc. (vorübergehend oder auch permanent) im Winter in Betrieb. Die Konzentration auf das „Must-have“ wird zudem mancherorts mit einem (Teil-)Rückbau bzw. mit der Nachnutzung von bestehender (Winter-)Infrastruktur einhergehen. Unter umgekehrten Vorzeichen könnte neu entstehende (Sommer-)Infrastruktur – wie ein Bikelift – teilweise auch im Winter für den Schneesport genutzt werden.

6. Urbane Bewegungsformen wie Rollsport als Chance für den Nachwuchs
Für den Klettersport dürfte der Transfer aus der Kletterhalle auf den Berg durchaus funktionieren. Die alpinen Vereine haben jedenfalls diese Chance zur Rekrutierung neuer Bergsportbegeisterter (und Mitglieder) vor geraumer Zeit erkannt. Aus Kletterhallen mit Bouldern und Toprope-Sicherung geht es hinaus in Klettergärten, Klettersteige und letztendlich das gesamte Spektrum der Alpinistik. So ähnlich könnte es auch mit dem „Rollsport“ funktionieren, denn Parks für Skateboard, Scooter und BMX sind im urbanen Umfeld sehr gefragt. Vom Pumptrack könnte es in Richtung Trailpark am Berg gehen. Was den Charme hat, in der Jugendkultur bereits gut verankert zu sein. Auch der Schneesport sollte viel mehr auf Freeski setzen, Parks für Ski und Snowboard direkt in den Städten mit Trockenpisten entstehen. Von dort ginge es dann in Actionparks wie jene von Woodward.

2040
7. Digital unterstützte Besucherstromlenkung für „optimale“ Auslastung
Allein schon aufgrund der relativen „Kühle“, des Wasserreichtums und der (hoffentlich) guten öffentlichen Erreichbarkeit wird die Nachfrage steigen. Die Alpen werden für Urlaub und Ausflug so attraktiv, dass eine gewisse Kanalisierung unbedingt angezeigt ist. Naturschutzfachlich ist das Prinzip des Skigebiets hoch attraktiv, einer „ungesteuerten“ Nutzung der Kulturlandschaft weit überlegen. Infrastrukturen wie Wanderwege oder Biketrails bzw. Skipisten oder Langlaufloipen – samt dazugehörigen Gastronomiebetrieb, Ausrüstungsverleih etc. – sind möglichst optimal auszulasten. Zeitlich begrenzte Überlastungen sind aus Gründen der Sicherheit, des Komforts und der Arbeitszufriedenheit inakzeptabel, genauso können aber allein schon aus wirtschaftlichen Gründen keine massiven Überkapazitäten gehalten werden. Die Lösung sind digitale Marktplätze, über die Angebot und Nachfrage – gut abgestimmt für verschiedene Leistungen – organisiert werden.

8. „Bike & Hike“
Hier ist gar nicht in erster Linie die besondere Spielform gemeint, bei der mit dem Fahrrad zur Berg- oder sogar Skitour angereist wird. Sondern das gesamte, bereits jetzt stark ausdifferenzierte Spektrum an Aktivitäten rund um das Wandern und Radfahren am Berg. Besonders attraktiv sind unter allen Variationen jene, die (beinahe) ganzjährig betrieben werden können und zudem eine möglichst einfache sowie energieextensive Infrastruktur benötigen. Das Gravelbiken ist beispielsweise eine heute noch relativ neue Disziplin, bei der – wie der Name schon sagt – Schotterstraßen aller Art befahren werden. Die Industrie hat das Potential erkannt und bietet einen Verschnitt aus Rennrad und Mountainbike an, selbstverständlich gerne auch elektromotorisch unterstützt, mit dem ausgewählte Forststraßen ideal befahren werden können. Mehr zu Fuß gehen und Radfahren, gerade auch in der Alltagsmobilität, findet damit seine Entsprechung in Urlaub und Freizeit.

9. Klimaneutralität
Wir für alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche gilt natürlich auch für den Tourismus in den Alpen, ein Gleichgewicht zwischen Treibhausgasemissionen und der Aufnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre in Kohlenstoffsenken (wie beispielsweise Wald!) herzustellen. Sowohl der Gesetzgeber als auch potentielle Gäste werden Netto-Null-Emissionen erwarten, entsprechende Instrumente wie Environmental Social Governance (ESG) zum Standard. Das Ziel der Klimaneutralität bedingt Kreislaufwirtschaft als neues Paradigma zu betrachten, sich zudem viel stärker mit der Produktion von erneuerbarer Energie zu befassen. In der Tourismuswirtschaft werden wir auch die Gretchenfrage, nämlich jene der Gästemobilität (einschließlich der An- und Abreise), nicht aussparen können.

Abschließend noch ein Hinweis auf das Interreg Alpine Space-Projekt TranStat – Transitions to Sustainable Ski Tourism in the Alps of Tomorrow, über das sich Skigebiete/Bergresorts und wissenschaftliche Organisationen zu Fragen des laufenden Transformationsprozesses vernetzen.


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